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Virale Erkrankungen
Parvovirus, Erythroblastophtise
Beckenkammbiopsie


Parvovirus B19 - Ursache einer Erythroblastophtise im Erwachsenenalter

Autor/en: H. Ohm, Darmstadt; F.-G. Hagmann, Karlsruhe; H. Kreiter [verstorben]
Letzte Änderung dieser Seite: 02.12.2011

Art der Falldarstellung: aus klinischer Sicht

Alter: 22 Jahre
Geschlecht: weiblich

Anamnese: Hohes Fieber, Abgeschlagenheit und Bauchschmerzen seit ca. drei Tagen. Eine Anämie unklarer Genese ist seit ca. einem Jahr bekannt (mit verkürzter Erythrozytenhalbwertszeit von 7 Tagen, Normwert 25-40 Tage).

Labor:
(Initiale Laborbefunde)

Parameter

Messwert

Einheit

Hb

5,6

g/dl

Erythrozyten

2,0

Mio./µl

MCV

80

fl

MCH

29

pg

Leukozyten

3200

/µl

Thrombozyten

106 000

/µl

Segmentkernige

61

%

Lymphozyten

28

%

Eisen und Ferritin

normal

 

Bilirubin ges.

2,5

mg/dl

LDH

439

U/l

Haptoglobin

<5

mg/dl


Sonstige Diagnostik: Die täglichen Retikulozytenzählungen (mikroskopisch) ergaben initial eine Retikulozytopenie (bis 1‰) und nach ca. 7 Tagen eine Retikulozytose (bis 80‰) - (Normwerte ca. 5-25 ‰, bei Frauen bis zu 40‰).
Bei der initial durchgeführten Beckenkammbiopsie zeigte sich ein Fehlen der roten Vorstufen mit Ausnahme einzelner großer Proerythroblasten (siehe Bildserie Abb. 1-5), eine hyperplastische Granulopoese und eine unauffällige Anzahl und Morphologie der Megakaryozyten.
Es fand sich ein positiver Parvovirus-B19-Titer: Parvovirus B19 IgG +, Parvovirus B19 IgM +. Im weiteren Verlauf konnten Kälteagglutinine nachgewiesen werden. Andere Autoantikörper waren nicht nachweisbar.

Diagnose(n): Für ein Malignom, eine Hämoglobinopathie oder eine enzymbedingte hämolytische Anämie ergab sich kein Hinweis. Die Erkrankung wurde als aplastische Krise durch Parvovirus B19 bei vorbestehender hämolytischer, möglicherweise autoimmunbedingter Anämie interpretiert.

Therapie: Nach symptomatischer Therapie mit drei Erythrozytenkonzentraten kam es zu einer klinischen Stabilisierung.
Bei nur geringfügig erholtem rotem Blutbild trotz des Retikulozytenanstiegs wurde nach Vorliegen des Ergebnisses der zweiten Knochenmarkdiagnostik (s.u.) und der oben aufgeführten Ausschlussdiagnostik eine kurzdauernde Kortikosteroidtherapie eingeleitet. Darunter waren die Hämolyseparameter deutlich rückläufig.

Verlauf: Ab ca. dem 7. Tag Retikulozytose (s.o.). Die erneut durchgeführte Beckenkammbiopsie 3 Wochen nach der stationären Aufnahme zeigte eine deutlich gesteigerte Erythropoese (siehe Bildserie Abb. 7-8).

Laborwerte vor Entlassung: Hb 11,4 g/dl, Erythrozyten 4,0 Mill./µl, MCV 84 fl, MCH 28 pg, Bilirubin ges. 1,2 mg/dl, LDH 195 U/l.

6 Wochen nach der akuten Erkrankung wurde der Parvovirus-Titer erneut kontrolliert: Parvovirus B19 IgG +, Parvovirus B19 IgM - ; im Zusammenhang mit dem Vorbefund Konstellation einer kürzlich durchgemachten Infektion. Ein späterer hämatologischer Verlauf liegt nicht vor.

Kommentar: Parvovirus B19 hat einen ausgeprägten Tropismus auf erythroide Vorläuferzellen, nach der intrazellulären Vermehrung der Viren kommt es zu einer Zelllyse. Die Folge ist ein kurzfristiges Fehlen der "roten Reihe" im Knochenmark. Da die Virusinfektion nur wenige Wochen dauert, die normalen Erythrozyten aber bis zu 120 Tage im Blut überleben, kommt es bei Gesunden nicht zu einer schweren Anämie (der fehlende Nachschub aus dem Knochenmark wirkt sich nicht wesentlich aus). Bei hämatologischen Grunderkrankungen mit verkürzter Erythrozytenüberlebenszeit (z.B. Sichelzellenanämie, Thalassämie, Sphärozytose, Pyruvatkinasemangel und autoimmunhämolytischen Anämien) kann die Parvovirus-B19-Infektion hingegen zu lebensgefährlichen aplastischen Krisen führen (Hb-Abfall bis 1,6 g/dl beschrieben). Die Erkrankung kann die erste schwerwiegende Manifestation einer Sphärozytose sein. Eine zusätzliche Leuko- und Thrombozytopenie kann vorkommen.
Der hier vorhandene Nachweis von Kälteautoantikörpern nach einer Virusinfektion kann einen unspezifischen Befund darstellen. Immunsuppressive Maßnahmen bei aktiver Virusinfektion sollten unterbleiben. Der fehlende Hinweis auf ein Immundefizit in der Anamnese sowie der Nachweis von Antikörpern, eine erholte Erythropoese und ein zeitlicher Abstand von drei Wochen nach Beginn waren in diesem Einzelfall im Sinne einer Überwindung der Infektion zu deuten. Ansonsten wird die Anämie bei immunkompetenten Patienten symptomatisch mit Transfusion behandelt.

Von der akuten kann man die chronische Parvovirus-B19-Infektion abgrenzen. Diese kommt bei hereditärem oder erworbenem Immunmangelsyndrom (z.B. AIDS oder Zustand nach Organtransplantation) vor. Sie ist durch eine Persistenz des Virus im Serum charakterisiert (wegen eines niedrigen Virustiters ist hier die PCR diagnostisch hilfreich). Klinisch steht die chronische Aplasie der Erythropoese im Vordergrund. Therapeutisch kann durch die Gabe von Immunglobulin eine zumindest vorübergehende Viruselimination mit klinischer Besserung erreicht werden.

Literaturreferenzen:
  • Roggendorf, M. et al. Parvovirus-B19-Infektionen in der Schwangerschaft. Dtsch Arztebl 1988;85:2430(B)
  • Meußer S, et al. 25jähriger Patient mit Panzytopenie. Internist 1995;36:999-1004. PMID:7499077
    [Medline]
  • Rinn R, et al. Transient acquired myelodysplasia associated with parvovirus B19 infection in a patient with congenital spherocytosis (letter). Am J Hematol 1995;50:71-2. PMID:7668238
    [Medline]
  • Jäger GR, Schwarz TF. Hämatologische Bedeutung der Parvovirus B19-Infektion. Diagnose & Labor 1995;45:127-30
  • Koduri PR, et al. Red cell aplasia caused by parvovirus B19 in AIDS: use of i.v. immunoglobulin. Ann Hematol 1997;75:67-8. PMID:9322687
    [Medline]
  • Modrow S, et al. Die Parvovirus B19-Infektion. Die gelben Hefte 1998;38:26-36
  • Modrow S. Parvovirus B19: Ein Infektionserreger mit vielen Erkrankungsbildern. Dtsch Arztebl 2001;98:1390-4(B)
    [Online]
  • Porstmann B. Retikulozyten - Reifung, Analytik, Klinische Bedeutung. Verlag D.E. Wachholz KG, Nürnberg 1993
    [DNB]

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